Der große Haken und das große Geschenk
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Fast alle Menschen neigen in Beziehungen dazu, sie mit Erwartungen zu füllen. Der Blick richtet sich auf den Partner, der dieses und jenes tun oder anderes unterlassen soll.
- Es kommt zu Aussagen wie „Wenn du nur endlich damit aufhören würdest, könnten wir viel glücklicher sein.“
- Wenn er mir nur mehr Anerkennung, Zuneigung und Wertschätzung geben würde, wenn er doch ein Charmeur wäre......
Doch die Sache hat einen großen Haken:
Nehmen wir an, der Partner, den wir uns ausgesucht haben, ist IMMER genau der RICHTIGE. Denken Sie in diesem Zusammenhang daran, dass die Wahl des Partners meist auf der unbewussten Ebene fällt. Wenn Sie meinen, dass Sie den Partner bewusst ausgewählt haben, so war es eine gute PR-Aktion Ihres Unbewussten.
Wenn er nicht ‘richtig’ wäre, dann hätten Sie die falsche Entscheidung bei Ihrer Partnerwahl getroffen. Wir sind aber in aller Regel wenig bereit, die Verantwortung für unsere Entscheidungen und die daraus resultierende Resonanz zu übernehmen. Trotzdem bleibt es dabei: Das, was uns gerade geschieht, ist das ureigene Ergebnis unseres persönlichen Handelns. Zwar passiert dieser Prozess oftmals unbewusst, was aber nichts an seiner Bedeutung ändert. Wir allein tragen die Verantwortung für unsere Beziehung. Das gilt natürlich ebenso für das Gegenüber.
Dadurch kommen endlich Gefühle ans Tageslicht, die seit der Kindheit – unbewusst – verborgen wurden, weil sie zu schmerzvoll waren. Kinder haben die Fähigkeit, Nein zu einer Empfindung zu sagen, mit der sie gerade nicht umgehen können. Dennoch bleiben diese Gefühle existent und kommen im Laufe des Lebens wieder ans Tageslicht. Als Erwachsener haben Sie nun die Möglichkeit, diese Empfindungen anzunehmen und sie zu bejahen. Das setzt aber voraus, dass die Gefühle bewusst zugelassen werden und ans Tageslicht kommen dürfen.
Oft geschieht dieser Prozess des „Wachrütteln“ dadurch, dass wir Menschen begegnen, die den vergrabenen Schmerz in uns wieder ans Tageslicht fördern. Das ist unangenehm und schmerzvoll, und wir möchten gerne einen Schuldigen finden – den anderen. Und genau auf diese Weise entsteht der Gedanke, dass das Glück der Beziehung von einer Verhaltensänderung des anderen abhängt. Menschen versuchen mit aller Kraft, eine Projektion zu finden.
Das Geschenk des Bewusstseins
Nehmen Sie diese Tatsache nicht als Bürde, sondern als Geschenk. Es ist eine Erweiterung unseres Bewusstseins, ein Lösen unterdrückter Gefühle, eine Bereicherung unseres Gefühlslebens und auch eine Befreiung. Eines ist unbestritten: Gefühle, welcher Art auch immer sie sind, entstehen immer in uns selbst. Das Gegenüber triggert sie nur an. Wenn uns jemand wütend macht, dann war diese Wut auch vorher schon in uns da. Unser Gegenüber holt sie lediglich an die Oberfläche.
Wer mit sich im Frieden und im Reinen ist, der reagiert auf mögliche Angriffe und Bewertungen ganz anders, nämlich mit einem Lächeln. Er ruht in sich.
Durch Begegnungen können wir uns spüren
Begegnungen und Beziehungen ermöglichen es uns, dass wir uns selbst spüren können. Jeder Angriff, jeder Ärger und jeder Streit zeigen uns, dass in uns noch ein wunder Punkt existiert. Dieser möchte geheilt werden.
Die Lösung von Konflikten in der Beziehung liegt also darin,
- dass wir Gefühle achtsam wahrnehmen. Wo stehen wir? Warum macht uns das Verhalten des anderen Menschen so wütend? Was können wir dagegen tun? Wir müssen genauer hinsehen, analysieren und verstehen, was gerade mit uns passiert. Vor allem sollte eine Bereitschaft da sein, alle Gefühle anzunehmen und sie willkommen zu heißen.
Eine klare Devise zu leben ist „Ich bin nicht auf der Welt, um so zu sein, wie es mein Partner gerne hätte.
Ganz klar und ›unmissverständlich‹. Je mehr man versucht, den Partner zu ändern, desto weniger verändert der sich.
Dazu ein Auszug aus einem Interview mit Arnold Retzer[2]: „Ein Beispiel: Eine Frau heiratet ihren Freund. Ganz freundlicher Kerl. Bei der Hochzeit sagt sie: Die zwei, drei Macken, die er hat, die bekomme ich auch noch hin. Sie meint: Den bekomme ich auch noch hin. Dann gehen, wenn man Glück hat, zehn Jahre ins Land und der Partner, fast hätte ich gesagt: der Gegner, hat die Macken mindestens in der gleichen Ausführung wie am Hochzeitstag. Weil der Mann diese Veränderungsmaßnahmen als Angriff auf seinen Lebensstil, auf seine Wertvorstellungen, auf sich bezieht. Menschen reagieren auf Angriff nun mal mit Verteidigung. Das Ergebnis ist eine paradoxe Situation: Je mehr man versucht, den Partner zu ändern, desto weniger verändert der sich. Man kann so weit gehen und sagen: wenn man nicht mehr versucht, den anderen zu ändern, dann verändert er sich.“
Es kommt noch ein weiterer Punkt dazu: Wir gehen meist unvorbereitet in eine Liebesbeziehung. Selten, dass Kinder bei den Eltern eine glückliche Beziehung gesehen und erlebt haben. Kinder gehen also ins Erwachsenenalter, ohne dass sie erlebt haben und wissen, wie eine glückliche Beziehung sich anfühlt, wie sie funktioniert.
Wir nehmen aber auch noch andere Strategien und Notwendigkeiten mit in eine Beziehung. Als Kind ist man auf die Zuwendung der Eltern, mit Anerkennung, Aufmerksamkeit und Geborgenheit angewiesen. Doch oft wird dies von den Eltern nicht so weit geliefert, wie es für das Kind notwendig gewesen wäre, um Urvertrauen zu finden. Mit diesem Mangel geht man später in die Beziehung. Aus dem Mangel entsteht dann die Erwartung, was ich von den Eltern nicht bekommen habe, soll mir jetzt mein Partner liefern. Wenn ein Partner nun vom anderen verlangt, ihm mehr Zuneigung, Wertschätzung und Geborgenheit zu geben, ist es niemals genug. Das Verlangen nach immer mehr bleibt, wie ein schwarzes Loch. Als Erwachsener brauchen Sie keinen anderen Menschen, um dies zu bekommen. Wenn Sie das Gefühl haben, dass Sie nicht genügend Anerkennung, Wertschätzung oder Geborgenheit vom Gegenüber bekommen, fragen Sie sich: „Gebe ich mir selbst, was ich vom Partner will“.
Vorwürfe über Vorwürfe
Wenn ich einem Klientenpaar in meiner Praxis gegenübersitze, dann beginnt die erste Beratungsstunde häufig mit einer Liste von Vorwürfen. Würde man diese Vorwürfe aufschreiben, kämen meistens mehrere Seiten zusammen. Auf den ersten Blick kommt zwangsläufig die Frage auf, wie eine Partnerschaft in Anbetracht solcher Listen überhaupt noch möglich sein soll.
Wenn wir jetzt den Blick auf die vorausgegangenen Betrachtungen werfen, besteht die eigentliche Spannung nicht zwischen den Partnern, sondern in jedem selbst. Umso wichtiger ist es, jetzt Einzelsitzungen zu vereinbaren und diese Spannungen – unabhängig vom anderen – zu betrachten und zu lösen. Ein wichtiger Schritt dabei ist, zu lernen, Ich-Botschaften zu formulieren. Nicht „Du bist unordentlich“, sondern „Ich fühle mich unwohl dabei, wenn dein Pullover auf dem Boden liegt.“
Bei diesem Prozess kann eine tiefe Umgestaltung entstehen, es erfordert Bewusstsein, Übung und Geduld, den eigenen Blickwinkel so zu verändern. Die Erkenntnis, dass jeder Vorwurf im Grunde ein Selbstvorwurf ist, der auf den anderen projiziert wurde, ist existenziell in der Beziehung.
Mit dieser Erkenntnis im Herzen kann die Beziehung ganz neu betrachtet werden. Der Partner ist immer der richtige! Im Streit begegnen sich lediglich die verletzten inneren Kinder, die nach Bestätigung und Nähe suchen. Jeder ist der Schöpfer seines eigenen Lebens und kann lernen, sich anzunehmen und zu lieben.
Noch ein Hinweis: Wenn Sie in Google nach „Vorwürfen in der Paarbeziehung“ suchen, finden Sie rund 1.350.000 Ergebnisse, Tendenz täglich steigend. Unzählige Tipps werden in diesen 1.350.000 Ergebnissen gelistet. Diese Autoren wissen scheinbar, wie man mit Vorwürfen umzugehen hat. Jeder hat ein anderes Rezept.
Letztlich ist der beste Weg, erst gar keine Vorwürfe zu machen, sondern Wünsche zu äußern oder Verbesserungsvorschläge zu machen. Seien Sie sich klar darüber:
Vorwürfe
- Vorwürfe sind Kritik und man gibt dem Gegenüber, die Schult. Kritik ist ein apokalyptischer Reiter.
- Vorwürfe kommen aus innerer Unzufriedenheit.
Unzufriedenheit ist
- kein schlechter Ausgangspunkt.
- der Grund, dass wir nicht mehr in der Höhle, sondern in einem komfortablen geheizten Haus wohnen.
- Demnach kann es ein konstruktiver Zustand sein.
Es kommt nur darauf an, wie man damit umgeht. Garantiert nicht für die Unzufriedenheit den Partner verantwortlich machen. Statt Vorwürfe kann man seine Bedürfnisse äußern. Statt unzufrieden zu sein, kann man sich Gedanken über Verbesserungswünsche machen. Lösungen auszusprechen, ist besser als direkt oder indirekt zu kritisieren.
Wer trotzdem nicht anders kann und Vorwürfe äußert, genauer gesagt sich Vorwürfen ausgesetzt sieht: auf den Umgang mit Vorwürfen gehe ich im Kapitel „Vorwürfe“ ein.
Titel: Partnerwahl in Liebesbeziehungen
[1]Dies wird oft nur dann anders entschieden, wenn es geht darum einen reichen Partner suchen, um materielle Sicherheit zu haben. Aber auch dann nimmt man nicht nur jeden, sondern auch da spielt dann das Unbewusste seine Rolle als Chef im Ring aus,